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SONNENSCHEIN UND DUNKLE WOLKEN

Eine ehrliche Bilanz der Leichtathletik Europameisterschaft von München

Von Dr. Wolfgang Blödorn

Für den Deutschen Leichtathletik-Verband endeten die Leichtathletik-Europameisterschaften im Rahmen der European Championships wie das Wetter in München. Es gab strahlenden Sonnenschein, aber auch dunkle Wolken mit kräftigen Regengüssen. Die Zuschauer ließen sich von den Wetterkapriolen allerdings nicht davon abhalten, die DLV-Sportler mit Beifall zu unterstützen und belohnen. Insgesamt zeigten sich die Zuschauer auf den Rängen und in den Straßen begeisterungsfähig. Ein Freudenfest für den DLV und seine von ihm organisierten Athletinnen und Athleten waren die Europameisterschaften allerdings nur bedingt.

1540 Athleten und Athletinnen aus 47 Nationen kämpften sieben Tage lang um 150 Medaillen. Die deutschen Leichtathleten konnten insgesamt 16 Medaillen, davon sieben Mal Gold und Silber, im Wettstreit mit den europäischen Leichtathleten gewinnen. Dies ist Platz eins in der Medaillenwertung vor Großbritannien. Großbritannien gewann allerdings mit 20 mehr Medaillen als der DLV und zeigte damit eine größere Leistungsbreite.

Mit ihren gewonnenen Medaillen kamen die Leichtathleten des DLV dem Ergebnis im Medaillenspiegel von vier Jahren in Berlin nahe. Während die Medaillenausbeute im DLV-Team im Vergleich zu 2018 in Berlin von 19 auf 16 sank, konnte sich Großbritannien von 17 auf 20 steigern. Zusätzlich muss man berücksichtigen, dass von den 16 Medaillen für das DLV-Team je einmal Gold und Silber in Wettbewerben gewonnen wurden, welche 2018 noch nicht im Programm der Europameisterschaften standen. In einem fairen Vergleich sieht die DLV-Bilanz Berlin zu München mit 19:14 schon nicht mehr ganz so positiv aus. Zufrieden darf man im DLV mit diesem Ergebnis auf keiner Ebene sein!

Die negative Tendenz der Leichtathletik in Deutschland – auch auf dem europäischen Kontinent – setzte sich damit fort. Selbst wenn der Absturz bei den Europameisterschaften nicht ganz so steil war als bei den Weltmeisterschaften in Eugene, sondern eher moderater. Aber Europa ist ja schließlich auch nicht die Welt!

Dieser Trend muss den Verantwortlichen im DLV große Sorgen machen. Ein Schulterklopfen und ein Aufatmen, dass man noch einmal davongekommen sei, kann nicht die Perspektive der deutschen Leichtathletik und des DLV sein. Personelle, strukturelle und organisatorische Änderungen müssen drängend und schnell angegangen werden, damit der DLV zumindest bei den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles die negative Entwicklung umdrehen kann!

Gina im Glück – Der Block Sprint

Gina Lückenkemper hat erfolgreiche fünf Wochen hinter sich. Zwei Goldmedaillen bei der EM in München und eine Bronzemedaille in Eugene. Eine Ausbeute, die sich sehen lassen kann. Begünstig wurden diese Erfolge allerdings auch durch Verletzungen bzw. Patzen bei Staffelwechseln ihrer Konkurrentinnen. Dies soll ihre großartige Leistung nicht relativieren, nur einordnen. Ihre und die Erfolge in den 4x100 Meter-Staffeln überstrahlen die Defizite im Block Sprint.

Die Viertelmeiler haben in keinem der internationalen Meisterschaften den Sprung in das Finale geschafft. Auch in den beiden 4x400 Meter-Staffeln reichten die Einzelleistungen nicht aus, um bei der EM in die Medaillenränge zu laufen.

Die 200 Meter-Läuferinnen und -Läufer konnten nur in München jeweils einen Starter ins Finale bringen. Eine Medaille wurde ihnen allerdings deutlich verwehrt. Nur Lückenkemper schaffte es bei der EM von den Frauen und Männern ins Finale über 100 Meter. Bei allen anderen war im Halbfinale der Wettkampf bereits beendet.

Über die 400 Meter-Hürden brachten es Abuaka und Krafzik zumindest in München fertig, das Finale zu erreichen. Alle anderen scheiterten schon im Vorlauf oder Halbfinale.

Bei den Kurzhürden war bereits nach dem Vorlauf bzw. dem Halbfinale Schluss für die beiden deutschen Teilnehmer.

Zusammengefasst darf man festhalten: Die Sprinter laufen bei den Einzelwettbewerben in Europa am Rande mit. Im Weltvergleich können sie bei weitem nicht mithalten.

Düstere Zukunft – Der Block Lauf

Im Block Lauf muss zwischen den Wettbewerben im Stadion und auf der Straße unterschieden werden. Auf der Straße waren die Marathonis und die Geher auf europäischer Ebene top! Zur Weltspitze ist allerdings noch viel Luft nach oben, wie die Weltmeisterschaften in Eugene gezeigt haben.

Alle männlichen Mittelstreckler blieben im Vorlauf hängen. Weder über 800 Meter noch über 1500 Meter konnten sie sich für das Halbfinale qualifizieren. Das Finale über 800 Meter der Frauen erreichte Hering, wenngleich sie als Siebte ohne eine echte Medaillenchance war. Dasselbe gilt auch für Klein und Trost über die 1500 Meter-Distanz.

Auf den Langstrecken konnten die fünf DLV-Starter lediglich zwei Plätze unter den ersten Acht erzielen. Von den sechs startenden Frauen über 5000 Meter und 10000 Meter gelang nur Klosterhalfen eine Medaille. Alle anderen kamen für Medaillenränge nicht in Frage.

Vier der sechs Startenden über 3000 Meter-Hindernis erreichten das Finale. Allerdings zeigte nur Meyer mit ihrer Silbermedaille, dass sie mit der europäischen Spitze mithalten kann und eine Perspektive für die Weltspitze besitzt.

Mit einer goldenen und einer silbernen Medaille auf der Rundbahn waren die Erfolge der Läuferinnen und Läufer im DLV schon sehr überschaubar. Für die meisten bei der EM Gestarteten ist der Weg zur Weltspitze noch sehr weit! Auch im Nachwuchsbereich sieht es nicht viel besser aus. So erscheint die Zukunft für den deutschen Mittel- und Langstreckenlauf sowohl auf europäischer als auch auf Weltebene leider nicht im rosigen Licht!

Höhen und Tiefen – Der Block Sprung

Drei Silbermedaillen waren das Ergebnis im Block Sprung. Sie wurden von Mihambo im Weitsprung der Frauen sowie von Lita Baehre im Stabhochsprung und Poyte im Hochsprung der Männer errungen.

Von den insgesamt 19 Athleten kamen noch vier weitere Teilnehmer ins Finale der besten Acht. Enttäuschend war der Stabhochsprung der Frauen und der Weitsprung der Männer. Für den Vorkampf konnte sich hier nicht qualifiziert werden. Der Weg zum Weltstandard ist für diese beiden letztgenannten Disziplinen scheinbar nicht gangbar.

Im Dreisprung waren nur drei Frauen am Start. Hier erzielte Eckhardt-Noack in der Qualifikation eine neue Bestweite. Die beiden anderen blieben im Qualifikationswettkampf deutlich hinter ihren Vorleistungen zurück.

Der Block Sprung passte sich mit seinen Ergebnissen dem Wetter an. Mal so, mal so! Bis auf Mihambo und Eckhardt-Noack sowie Lita Baehre reicht keine Leistung an die Weltspitze heran. Die Hoffnungen für die Weltmeisterschaften 2023 in Budapest sind beschränkt.

Der große Wurf – Der Block Wurf

Der große Wurf gelang Weber im Speerwurf der Männer. Sein Gold war das i-Tüpfelchen im Wurfbereich. Bei den Frauen scheiterten zwei der drei Teilnehmerinnen bereits in der Qualifikation. Die verbliebene Dritte kam nicht über den Vorkampf hinaus.

Neben Weber stachen Pudenz und Vita im Diskuswurf der Frauen mit Silber und Bronze hervor. Das war es dann aber auch im Block Wurf. Besonders schwach waren die Diskuswerfer, welche in der Vergangenheit der letzten Jahre durchaus immer für eine Medaille gut waren. Ihre Leistungen in der Qualifikation waren weit von den Vorleistungen entfernt.

Die Kugelstoßerinnen konnten nahezu an ihre Vorleistungen anknüpfen. Immerhin gelang allen drei Starterinnen der Sprung ins Finale. Für den einzigen Kugelstoßer war der Wettkampf nach dem Vorkampf beendet.

Im Hammerwerfen stand die einzige deutsche Teilnehmerin auf verlorenen Posten.

Insgesamt gesehen scheint der Block Wurf den Zenit seiner internationalen Leistungsfähigkeit mit vielen Medaillen überschritten zu haben. Nur im Speerwurf der Männer und im Diskuswurf der Frauen ist beim Weltstandard „Land in Sicht“.

In der Summe positiv – Der Block Mehrkampf

Im Block Mehrkampf beendeten zwei Startende ihren Wettkampf nicht. Von den verbleibenden Vier gelang es Kaul mit einer großartigen Steigerung in den beiden letzten Disziplinen noch, die Goldmedaille zu gewinnen. Weitere zwei Plätze im Finale stehen darüber hinaus zu Buche. Der alte Europameister genoss seine Abschiedstournee, konnte aber bei weitem nicht an seine alten Leistungen anknüpfen.

Der Block Mehrkampf – so scheint es jedenfalls zurzeit – macht im DLV am wenigsten Sorgen.

Zum guten Schluss

Mit acht persönlichen Bestleistungen (3x Männer; 5x Frauen) sowie zehn Saisonbestleistungen (3x Männer; 7x Frauen) der Nominierten in den Einzeldisziplinen war die Jahresvorbereitung auf die Europameisterschaften besser als die zur Weltmeisterschaft. Dabei ist die WM mit Sicherheit höher zu bewerten als die EM.

War dies so geplant oder konnten sich die Athletinnen oder die Athleten nicht für die WM motivieren, weil sie sich dort – wie das Medaillenergebnis der WM zeigt -, keine Chancen ausrechneten? Wie dem auch sei. Träfe nur eines zu, muss man hinterfragen, was der DLV oder die Athleten und Athletinnen unter Leistungssport verstehen. Auf jeden Fall aber - dies gilt auch für die WM - hätte das Ergebnis für den DLV und seine Leichtathleten sichtbar besser aussehen können, wenn es den Bundes- und Heimtrainern gelungen wäre, eine optimale Periodisierung zu leisten. Hieran hapert es seit langem!

Die große Anzahl der vom DLV nominierten Athletinnen und Athleten stand bereits vor der EM in der öffentlichen Kritik. Von den 34 Sportlern, welche die Leistungsnorm 2022 nicht erfüllt hatten, konnte nur eine beim Wettkampf in München die geforderte Qualifikationsleistung nachreichen. 33 Leichtathleten haben demnach auch bei der EM in München die geforderte Leistungsnorm nicht geschafft. Hierunter auch ältere Athletinnen und Athleten, so dass man die Nominierung durch den DLV nur bedingt dadurch begründen könnte, die Sportler sollten Erfahrung sammeln. Aus welchen Gründen der DLV so großzügig nominiert hat, bleibt sein Geheimnis. Vermutungen allerdings darf man anstellen ...

Die Heim-Europameisterschaft sollte auch dem letzten Optimisten vor Augen geführt haben, in der deutschen Leichtathletik unter der Führung des Deutschen Leichtathletik-Verbandes gibt es ernsthafte Probleme. Eine Demontage aber verdienen die Basis der Leichtathletik, die Athleten und die Heimtrainer vor Ort im Verein nicht.

Die Probleme sind im DLV personell, strukturell und organisatorisch anzusiedeln. Sie zu beheben ist eine Herkulesarbeit für das ehrenamtliche DLV-Präsidium. Die Arbeit muss jedoch umgehend angegangen werden. Erfolge des Umbaues dürfen allerdings noch nicht unbedingt für die Olympischen Spiele 2024 in Paris erwartet werden. Dies wäre eine Illusion. Dazu ist die Erneuerung des DLV zu komplex und braucht seine Zeit.

Die Behebung der Defizite wird sich bis 2028 hinziehen und die Erneuerung des Leistungssports im DLV vielleicht erst bei den Olympischen Sommerspielen in Los Angeles Wirkung zeigen. Vorausgesetzt, das DLV-Präsidium findet jetzt die Kraft und den Mut als ehrenamtliches Kontrollgremium den für den Leistungssport im DLV hauptamtlich Tätigen zu Innovationen zu drängen. Nahezu alle Probleme im DLV sind hausgemacht. Kreative organisatorische, personelle und strukturelle Änderungen erscheinen dringend notwendig. Eine weitere Schönrederei des Standes der Leichtathletik im internationalen Vergleich wäre kontraproduktiv! Der DLV wäre gut beraten, auf seine Kritiker zuzugehen und sie in den Prozess der Erneuerung der deutschen Leichtathletik mit einzubeziehen.

Eine Änderung der Leistungsförderung im DLV wird aus den Reihen der DLV-Spitzenathleten angeregt. Nach diesen, in den organisatorischen Bereich des DLV gehörenden Anmerkungen, nun noch Bemerkungen zum Abschneiden der DLV-Athleten in München.

Symptomatisch für den Sprint und Mittelstreckenlauf im DLV steht das mehr als schwache Abschneiden der DLV-Viertelmeiler. Weder bei den Frauen noch bei den Männern reichte es für einen Platz im Finale. Die Halbfinalteilnehmerinnen liefen mit den letzten Plätzen ihrer Halbfinals der europäischen Konkurrenz hinterher und waren von ihrer Bestzeit weit entfernt. Gleiches – allerdings in verstärkter Form – gilt auch bei den Männern. Zwei der drei 400 Meter-Läufer schafften es noch nicht einmal, die Vorläufe zu überstehen. Der verbliebene Dritte besaß in seinem Halbfinale keine Chance, das Finale zu erreichen.

Dabei ist die 400 Meter-Distanz eine „Scharnierstrecke“ zwischen dem Sprint (200 Meter) und der Mittelstrecke (800 Meter). Auch hier glänzten die DLV-Läufer nicht. Eine mangelhafte Talentauswahl bezüglich der Schnelligkeit bietet hierfür einen Grund an. Aber auch die Beratung zum Beginn des Leistungsalters in der U23-Klasse, welche Distanz für den Läufer die erfolgreichere sein könnte, darf nicht außer Acht gelassen werden. Der fehlende Leistungsdruck „von unten“ scheint weder die Trainer noch die Läufer dazu zu bewegen, sich der längeren Distanz zuzuwenden. Last but not least spricht der große Drop-Out zum Beispiel auf der Mittelstrecke für einen wenig langfristig orientierten Leistungsaufbau der Nachwuchsläufer.

Neben diesen wenig erbaulichen Ergebnissen der deutschen Leichtathleten in München gab es aber auch erfreuliche. So scheinen die deutschen Ausdauerläufer besonders „hitzebeständig“ zu sein. Mit zwei Goldmedaillen und einer Silbermedaille bei den Marathonis sowie weiteren Top-Zehn-Platzierungen stach diese Disziplingruppe besonders hervor. Aber auch die 35 Kilometer-Geher mit ihrer Silbermedaille und den Top-Platzierungen haben gut gearbeitet.

Interessant auch, dass erfolgreiche Athleten (Ringer, Kaul etc.) nicht von Bundestrainern trainiert werden. Dies aber lediglich als eine Anmerkung am Rande. Dies unterstützt den oben angeführten Vorschlag, die Leichtathletik in der vollen Fläche Deutschlands zu unterstützen. Es wäre der DLV gut beraten, auf seine Kritiker zuzugehen, ihnen die Hand zu reichen und sie um Mitarbeit im Geiste der Leichtathletik zu bewegen. Dies setzt allerdings Bereitschaft seitens des DLV voraus, Kritik ertragen zu können und Kritiker nicht als „Nestbeschmutzer“ zu sehen, sondern als Personen, welche Freunde der Leichtathletik sind!

Wie dem auch sei: Die großen Schlachten in der internationalen Leichtathletik 2022 sind geschlagen. Sie endeten annähernd in einem Desaster für die Reputation des DLV. Die schönen sprachlichen Gewänder von Leistungsfähigkeit der Führungskräfte im Leistungssport des DLV haben sich in Wirklichkeit als durchsichtig erwiesen. Oder waren, wie bei „des Kaisers neue Kleider“, real überhaupt nicht vorhanden. Die Währung im Leistungssport ist eben nicht die Zahl der Followers und der Likes, sondern die gemessene Leistung in Zeit, Weite und Höhe!

Der PotAs-Kommission im DOSB sei ins Stammbuch geschrieben, Quantität ersetzt im internationalen Vergleich des Spitzensports nicht die Qualität. Von den insgesamt 107 für einen Einzelstart Nominierten - allen am sportlichen Wettkampf Teilnehmenden sei übrigens ihre Nominierung von Herzen gegönnt - besaßen rund ein Drittel der Athleten in München nicht die Leistungsnorm. Sie könnten als Zählkandidaten des DLV für PotAs-Punkte gedacht gewesen sein. Träfe dies zu, wären die Athletinnen und Athleten instrumentalisiert worden. Dies hätten die Sportlerinnen und Sportler aber nun wirklich nicht verdient.

AKTIONS- UND REPRÄSENTATIONSLEISTUNG Anmerkungen zur Situation in der Leichtathletik
Von Dr. Wolfgang Blödorn

In seinem vielbeachteten Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“ von 2017 beschreibt der Soziologe Andreas Reckwitz „Die Explosion des Besonderen“. Danach ist die „spätmoderne Ökonomie“ nicht mehr funktional. Es wird vielmehr danach gestrebt, eine „Singularität“, etwas Besondere zu sein. Besonders wird man, wenn man in der Lage ist, ein von anderen Personen, Leistungen, Produkten etc. sichtbar abweichendes Profil zu erstellen.

Dieses „abweichende Profil“ entwickelt sich, in dem man sich in der Öffentlichkeit ein Image verschafft. Zur Schaffung eines unverwechselbaren Images tragen zum Beispiel Postings, Statements oder Pressemitteilungen in den verschiedensten Medien bei. Besonders attraktiv erscheinen in diesem Zusammenhang die digitalen Medien wie Facebook, Instagram oder eigene Webseiten.

Es reicht aus, wenn anderen Menschen über die Repräsentation die Illusion einer Aktionsleistung angeboten wird. Dies beschreibt Gunter Gebauer in seinem Aufsatz „Leistung als Aktion und Repräsentation“ von 1972. Die Präsentationsleistung entsteht im Kopf des Betrachters. In diesen einzudringen, ist das Ziel des in der Regel willentlich erzeugten Images durch PR-Aktionen und ähnlichem. So verwischen sich beim Betrachter Aktionsleistung und Präsentationsleistung. Das Eine kann durch das Andere ersetzt werden und wird ersetzt.

Ebenfalls 1972 wurde vom Sporthistoriker und Sportwissenschaftler Arnd Krüger der Aufsatz „Der Leistungssportler als Kleinunternehmer“ veröffentlicht. Unabhängig vom gesellschaftlichen Zeitkontext verdeutlicht der Aufsatz, dass ein Leistungssportler bestrebt ist, seine „Arbeit“ im Training „entlohnt“ zu bekommen. Dies kann er am besten, wenn er sich dem Profitum nähert, das heißt, mit seinem Sport Geld verdient und so unabhängig von finanziellen Sorgen seinem Sport nachkommen kann.

Für den Leistungssportler bestehen grundsätzlich mindestens drei Möglichkeiten, seinen Sport als „Profi“ finanziell sorgenfrei betrieben zu können. Diese sind:

  1. a)  DerLeistungssportler besitzt im privaten Umfeld einen gesicherten finanziellen Hintergrund

    oder

  2. b)  er findet einen Mäzen als Sponsor

    oder

  3. c)  er wird von der Gesellschaft bzw. vom Staat unterstützt.

In der Leichtathletik findet sich gegenwärtig sehr häufig die Möglichkeit c). Die Athleten und Athletinnen werden in den – im weitesten Sinne – öffentlichen Dienst eingegliedert. Durch ihre Anstellung bei Polizei, Bundespolizei, Bundeswehr etc. sind sie zumindest grundlegend wirtschaftlich abgesichert, um ihr Training relativ zeitunabhängig und umfangreich durchführen zu können. Sie sind sozusagen zu „Staatsamateuren“ geworden. Mit ihrer Anstellung in den Staatsdienst haben sie allerdings einen wesentlichen Teil ihrer Handlungsfreiheit eingebüßt.

Sportler, wie Menschen generell, streben aber nach (Handlungs-)Freiheit. Diese können die „Staatsamateure“ aber nur wirklich erreichen, wenn sie sich selbst zusätzlich selbst vermarkten. Sie versuchen, wenn sie keinen Verein wie im Profifußball als Mäzen finden, sich in der Öffentlichkeit anzubieten und ein Image zu verschaffen. Dies geschieht, wie weiter oben schon erwähnt, durch Postings, Statements etc. Über die Instrumentalisierung der digitalen Dienste erhoffen sie sich durch die „neue Währung“ Follower oder Likes so interessant zu machen, dass sie als Werbeträger geeignet erscheinen. So werden Follower oder Likes zur baren Münze.

Dieser Weg der Öffentlichkeitsarbeit oder Public Relations (PR) findet aber nicht nur bei den „Leistungssportlern als Kleinunternehmer“ Anwendung. Auch Vereine, Verbände, die Wirtschaft insgesamt regeln durch strategische Kommunikation ihre Beziehungen zur Öffentlichkeit und ihren Entscheidungsträgern.

Nun ist der DLV seit seiner Satzungsänderung zwar wirtschaftsorientiert organisiert, ist aber selbst keine Stätte der Produktion. Die „Produkte“ des DLV in Form von international hochwertigen Leistungen werden in den Vereinen und den „Leistungssportler als Kleinunternehmer“ als Basis im Sport hergestellt. Dem DLV bleibt allerdings die Möglichkeit, diese „Kleinunternehmer“ zu organisieren. Der DLV ist ein Dienstleistungsunternehmen für die Basis des Leistungssports. Und die sitzt nicht in der Mitgliederversammlung des DLV.

Als Dienstleistungsunternehmen muss der DLV für seine Basis, den „Leistungsträger“, attraktiv sein. Die Attraktivität könnte z.B. aus längeren Trainingsaufenthalten in der Sonne oder in Pre- Camps zur Vorbereitung auf die Wettkämpfe liegen. Auch die Bereitstellung von Bundestrainern könnte zu dieser Attraktivität gehören. Hierfür benötigt der DLV aber selbst finanzielle Mittel. Die Beiträge seiner Mitglieder, die zwanzig Landesverbände, reichen für die eben erwähnten Maßnahmen allerdings nicht aus. Der DLV muss sich - wie die „Leistungssportler als Kleinunternehmer“ auch - nach weiteren Einnahmemöglichen umsehen. Neben Werbeeinnahmen sind es vor allen Dingen Steuergelder, welche über PotAs-Punkte vergeben werden, die für den DLV interessant erscheinen. Um beide Möglichkeiten ausschöpfen zu können, ist wiederum Öffentlichkeitsarbeit, PR oder wie einige sagen Propaganda, notwendig. Was liegt da näher, via Präsentation Illusionen in der Öffentlichkeit zu erschaffen, wenn es mit der Aktionsleistung nicht so ganz gelingt. So läuft in vielen Teilen der Gesellschaft das Geschäft.

So könnten sowohl Sportler:innen, Vereine und Verbände durch die Schaffung von Illusionen zu Gauklern oder Gaunern werden. Gaukler und Gauner eint das Ziel, mit der Schaffung von Illusionen Geld zu verdienen. Der Gaukler ist Teil der Unterhaltungsbranche. Mit seiner durch Präsentation entstandenen Illusion will er die Menschen unterhalten. Bei Gaunern ist dies anders. Sie finden sich in allen Bereichen der Wirtschaft. Sie wollen an der durch Präsentation erschaffenen Illusion andere Menschen übervorteilen.

Mit seiner Satzungsänderung 2020 hat der DLV sich eine Organisationsform gegeben, welche spürbare Anlehnungen an ein Kapitalunternehmen ermöglichen. So kann man die Mitgliedsversammlung im DLV als Aktionäre des Unternehmens DLV betrachten. Die Mitgliedsversammlung besteht aus den zwanzig Landesverbänden mit unterschiedlich großen, aber einheitlich abzugebenden Wahlstimmen. Sie wählt das DLV-Präsidium den Aufsichtsrat. Das Präsidium besitzt die Aufgabe, den Vorstand zu bestimmen und ihn zu kontrollieren. Diese Kontrollfunktion setzt ein großes Wissen und ein intensives Verständnis im Präsidium über die operativen Handlungen des Vorstandes voraus. Nur wenn dieses vorhanden ist, kann die Kontrollfunktion funktionieren. Ist es nicht vorhanden, entwickelt der hauptamtliche Vorstand ein Eigenleben gegenüber dem ehrenamtlich tätigen Aufsichtsrat.

Die Präsentation von etwas spielt auch im Sport eine bedeutsame Rolle. Dies weiß man spätestens seit der Philosoph und Sportsoziologe Gunter Gebauer 1972 seinen Aufsatz „Leistung als Aktion und Präsentation“ veröffentlichte. Für ihn ist sowohl die Aktionsleistung als auch die Präsentationsleistung eine Leistung. Aktionsleistungen lassen sich in irgendeiner Weise „objektiv“ messen und damit beurteilen. Dies ist zum Beispiel bei Leistungen in der Leichtathletik der Fall.